Urteil Oberster Gerichtshof 6 Ob 232/10a NÖ Hilfswerk gegen Journalist Glöckel

HILFSWERK in ÖSTERREICH

Die Entscheidung des OGH ist der finale Höhepunkt von in Summe 8 (!) juristischen Verfahren, mit denen das NÖ Hilfswerk gegen unseren Herausgeber wegen der Aufdeckung zahlreicher Mißstände und Gesetzesbrüche in der mobilen Hauskrankenpflege innerhalb einer Exklusivserie vorging. Das Niederösterreichische Hilfswerk verlor alle; Dieses Ergebnis stellt einen triumphalen Erfolg für die freie und unabhängige Presse dar und untermauert den von uns praktizierten Qualitätsjournalismus!

Ausgangslage: Das NÖ Hilfswerk klagte in diesem Rechtsstreit beim Landesgericht Korneuburg (Zahl: 16 Cg 108/06w) auf Unterlassung und Widerruf zu dem Prolog der Exklusivserie und zur Reportage: „HILFSWERK täuscht raffiniert Dienstnehmer und spart Millionen an Lohnzahlungen„. Der Klage vorangegangen war ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen den Prolog, den das LG Korneuburg jedoch abschmetterte. Das Hilfswerk verlor am LG Korneuburg und legte Berufung am Oberlandesgericht Wien (Zahl: 3 R 9/10f) ein. Auch dort unterlag die ÖVP-nahe Pflegeorganisation. Der Instanzenzug war somit ausgeschöpft, daher wandte sich die unter der Geschäftsführung von Mag. Gunther HAMPEL stehende Organisation, vertreten durch Mag. Werner SUPPAN mit einem außerordentlichen Revisionsantrag an den Obersten Gerichtshof.

Es folgt die 1:1-Abschrift des Urteils des OGH, die unsererseits mit Links und Hervorhebungen versehen wurde um Ihnen auch weiterführende Hintergrundinformationen leichter zugänglich zu machen. Zum leichterem Verständnis wurde in der Abschrift anstelle dem Wort „Beklagter“ – Journalist Glöckel und „Kläger“ NÖ Hilfswerk angeführt.

Faksimile Beschluß Oberster Gerichtshof 6 Ob 232/10a

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Niederösterreichisches Hilfswerk, 3100 St. Pölten, Ferstlergase 4, vertreten durch Suppan & Spiegl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Walter Egon Glöckel, 2410 Hainburg an der Donau, Hummelstraße 32, vertreten durch Dr. Reinhard Schuster, Rechtsanwalt in Hainburg an der Donau, wegen Unterlassung und Widerruf, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. September 2010, GZ 3 R 9/10f-56, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Nach der Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofs steht einer isolierten Beurteilung einer Schlagzeile oder einer ähnlichen Hervorhebung (hier Überschrift eines Artikels) der Grundsatz entgegen, dass jede Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang, in dem sie fiel, zu beurteilen ist (6 Ob 92/04d; zu strafrechtlichen Entscheidungen vgl 12 Os 36/07x mwN), es sei denn, die Schlagzeile (die Überschrift, der Titel oder ähnliche Hervorhebung) enthielte vollständige Tatsachenbehauptungen oder wenn Tatsachenbehauptungen mit denjenigen im Folgetext nicht in Einklang zu bringen sind (6 Ob 92/04d mwN). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Überschrift „Hilfswerk täuscht raffiniert Dienstnehmer und spart Millionen an Lohnzahlungen“ nicht losgelöst vom Artikeltext zu beurteilen ist, ist vor dem maßgeblichen Gesichtspunkt des verständigen Erklärungsadressaten (das ist nicht der sogenannte „Schlagzeilenleser“ [6 Ob 92/04d]) jedenfalls vertretbar, bleibt doch offen, worin die Täuschung besteht, so dass die besonders pointierte Überschrift das Interesse am Lesen weckt.

Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls abhängt und der deshalb keine über diesen hinausgehende Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RIS-Justiz RS0111733; RS0031883; RS0031915; 6 Ob 162/10g). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hängen die Fragen, ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre, ob Tatsachen verbreitet wurden oder eine wertende Äußerung vorliegt und ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzeß zu qualifizieren ist (RIS-Justiz RS0113943), so sehr von den Umständen des Einzelfalls ab, dass erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO in der Regel nicht angenommen werden können. Dies gilt auch für die Frage, was noch zulässige Kritik ist (RIS-Justiz RS0031832). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Überschrift eine noch zulässige kritische Wertung des im Artikel im Detail geschilderten Vorgehens der klagenden Partei zum Nachteil der Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Auslastungsquote, wobei bei den Mitarbeitern insgesamt der Eindruck entstand, dass diese Vorgangsweise rechtens sei, darstelle, ist keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung der Umstände des Einzelfalls.

Der Journalist Glöckel schrieb in seinem ersten mit „Prolog zur Serie über die Arbeitsbedingungen beim Hilfswerk in Österreich“ überschriebenen Artikel unter anderem:

„Ja, wir werden eine Bandbreite von Fällen aufzeigen und sind in der Position den Nachweis zu erbringen, dass der Fisch am Kopf zu stinken anfängt, denn die Verantwortung liegt nicht, wie man annehmen könnte, bei einer einzelnen Einsatzleitung, sondern den leitenden Einrichtungen der Bezirks-, Länder- und somit auch der Bundesgeschäftsstelle. Auch eine Personalvertretung, die wie in anderen Berufsgruppen verlernt hat, den Sinn und Inhalt der eigenen Funktion voll inhaltlich zu erfassen und zu erfolgen.“

Das Berufungsgericht beurteilte die inkriminierte Äußerung, der Fisch fange am Kopf zu stinken an, als im gegebenen Zusammenhang zulässiges Werturteil, läge es doch im Bereich der leitenden Verantwortliche, die vom Journalisten Glöckel angeprangerten Mißstände abzustellen. Diese Beurteilung bedarf keiner Korrektur, besteht doch ein Bedürfnis der Öffentlichkeit, über schlechte (oder unzureichenden) Arbeitsbedingungen und Mißstände in der Mitarbeiterführung bei einer Einrichtung informiert zu werden, die im Pflegebereich tätig ist.

Der Journalist Glöckel schrieb im eben genannten Beitrag weiters:

„Fangen wir an, die Schicksale und Arbeitsbedingungen von Mitarbeitern des Hilfswerkes in Österreich zu beleuchten, zu diskutieren, um Veränderungen zu erwirken, damit wir morgen nicht Gefahr laufen, vor einem moralischen Desaster zu stehen, in dem Verantwortliche lauthals verkünden: ‚Wenn ich das nur gewußt hätte!‘ und sich so versuchen der Verantwortung zu entziehen. Sie wissen es bereits und wir wissen es. Auch, wenn wir einzelne Fälle vom Hilfswerk aufzeigen werden, die durch umfassende Aussagen unterschiedlicher Personen als Faktum anzusehen sind, so sind wir dennoch der Auffassung, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Und ebenso, dass es in anderen Organisationen gleich gelagerte Sachverhalte gibt. So laden wir alle Mitarbeiter der mobilen Pflegedienste ein, uns von ihren Erlebnissen zu berichten – wir machen einen Anfang.“

Wenn das Berufungsgericht die Meinungsäußerung des Journalisten Glöckel, es handle sich nach seiner Auffassung bei den aufzuzeigenden Fällen nur um die Spitze des Eisbergs, im Hinblick darauf, dass aus den Feststellungen abzuleiten sei, viele Mitarbeiter hätten die Handhabung der Auslastungsquoten durch das NÖ Hilfswerk als Faktum hingenommen, ohne sich bei der Arbeiterkammer zu beschweren, als auf einem wahren Tatsachenkern beruhend beurteilte, so ist auch dies eine nicht korrekturbedürftige Beurteilung der Umstände des Einzelfalls. Festgestellt wurde, dass die Handhabung der Auslastungsquote beim NÖ Hilfswerk aufgrund einer innerbetrieblichen Routine, die vom Dienstgeber auch so gewollt war, dazu führte, dass nicht wenige Dienstnehmer auf Ansprüche auf Bezahlung aller Entgeltbestandteile zum Teil verzichtet haben, dies aufgrund einer Art innerbetrieblichen Herrschaft im Sinn einer Über- und Unterordnung. Festgestellt wurde weiters, dass viele Mitarbeiter von den im Einzelnen genannten Umständen dazu veranlasst wurden, die sich negativ auf die Auslastungsquote auswirkenden Fahrtzeiten entweder nicht oder nur zum Teil als Arbeitszeiten aufzuschreiben.

Oberster Gerichtshof

Wien, am 18. Juli 2011

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Anm.: Wir erhielten diesen Beschluß, der laut Auskunft des OGH bereits am 26.8.2011 den Anwälten übermittelt wurde (!), erst am 31.1.2012. Das verspätete Eintreffen liegt nicht im Verschulden der Justiz oder des Gerichtshofes!