HILFSWERK – falsche Einsatzplanung bricht Menschenwürde

Die Angehörige der Schlaganfallpatientin

Frau M. (Name red. geändert) ist eine Angehörige einer Patientin, die vom HILFSWERK im Bereich der mobilen Hauskrankenpflege betreut wird. Die Hände der Frau, die selbst schon vor einigen Jahren ihren 70. Geburtstag gefeiert hat, sind gezeichnet von einem arbeitsreichen Leben und zusätzlich durch eigene Krankheit geprägt. Sie weiß, daß sie selbst mehr auf ihre eigene Gesundheit achten und sich einer Behandlung unterziehen sollte, doch sie schiebt es vor sich hin, so lange bis sie Zeit und Raum hat, um sich mehr dem eigenen Leben widmen zu können. Frau M., eine der vielen Angehörigen, die ihre „Lieben“ im gemeinsamen Haushalt haben und so lange für sie da sind, bis – bis sie von dieser Welt gehen. So bleiben nur wenig Raum für sie selbst und ein Lebensalltag, der geprägt ist von der Pflege und Fürsorge um ihre Angehörige. Ein fixer Tagesablauf, vordergründig bestimmt vom Gesundheitszustand der kranken und pflegebedürftigen Familienangehörigen. Diese ist bettlägerig, nach einigen Schlaganfällen bewegungsunfähig und kaum in der Lage zu sprechen. Der Tag beginnt zwischen 5 und ½ 6 Früh und endet zwischen 21 und 22 Uhr. Der tägliche Friedhofsbesuch der Witwe ein Fixum und nur selten ist es ihr möglich, in die nächstgelegene Kleinstadt zu fahren, um Auslagen zu betrachten oder einen Friseur zu besuchen. Täglich gibt es u.a. um 9 Uhr Frühstück, um 13:30 Uhr Tee und um 15 Uhr Jause für die Angehörige, der sie aufopfernd ihre Zeit widmet. Der verschiedene Gatte meinte damals, die Angehörige in ein Heim bringen zu wollen, wogegen sich Frau M. jedoch entschieden aussprach. Er verstarb und zurückgeblieben sind die beiden alten Frauen.

Krankheitsbedingt kam für die Angehörige dann das Erfordernis eine mobile Hauskrankenpflege in Anspruch zu nehmen. So kommt zwei Mal täglich seit über 1 ½ Jahren eine Mitarbeiterin vom HILFSWERK und unterstützt mit ihren Fachkenntnissen Frau M. bei den Vornahmen die notwendig sind und eben auch entsprechende Kompetenz erfordern. Wir unterhalten uns über die Erfahrungen mit der mobilen Hauskrankenpflege und ihrem eigenen Lebensabend. Wie auch bei anderen Interviewpartnern ist auffällig festzustellen, daß diese Menschen dankbar sind, daß man ihnen Zeit widmet, sich ihre Sorgen anhört – mit der Hoffnung auf Verbesserung.

Der Tonfall von Frau M. in ihren Schilderungen wirkt wie ein Wechselspiel zwischen Klagen, Resignation und Enttäuschung, als sie davon berichtet, daß ihre Angehörige Windeln trägt, sie selbst ist körperlich nicht im Stande sie zu wechseln, dies macht das mobile Pflegepersonal vom HILFSWERK, das zwei Mal täglich kommt. Die Problematik, die jedoch mit dieser Notwendigkeit des Tragens von Windeln behaftet ist, liegt in dem Umstand begründet, daß die Angehörige durchschnittlich zwischen 17 bis 18, maximal 19 Stunden in ihren Ausscheidungen liegen muß, bis der Wechsel erfolgt. „Jetzt stellen Sie sich das einmal im Sommer bei 30 Grad vor!“, kommt es dann doch etwas entrüstet und aufgebracht. Frau M. berichtet, daß das Personal am Nachmittag zwischen 16 bis 17 Uhr kommt u.a. die Windeln wechselt und ihre Angehörige dann bis am nächsten Tag im schlimmsten Falle bis 11 Uhr in den vollen Windeln liegen muß, bis das Personal wieder kommt. Sie führt weiters aus, daß es ihr schon aufgefallen sei, daß es Unterschiede gibt welche Schwester eingeteilt ist und nennt uns auch deren Namen. Im Sommer habe sie auch wegen der Unerträglichkeit dieses Zustandes eine Mitarbeiterin „zusammengeputzt“, wie sie es formulierte. Wir erklären Frau M. daß die Einsatzleitung der örtlich zuständigen Dienststelle jedenfalls der richtige Ansprechpartner sei und sprechen über die uns bekannte Problematik des Zeitdruckes unter dem das Personal steht, die teilweise festgestellten Mängel in der Einsatzplanung und da überrascht sie doch ein wenig mit der Aussage: „Psychisch haben sie schon was zu verarbeiten“. „Wenn ihre Angehörige bis zu 19 Stunden in ihren Exkrementen liegen muß, warum beschwerten Sie sich nicht mit Nachdruck?“ worauf die Thematik der Abhängigkeit zu der Dienstleistungseinrichtung ausgesprochen wird. Es gäbe zwar mehrere Anbieter, aber man ist doch froh, wenn die Dinge laufen. In ihrem Alter ist das alles nicht so einfach.

Faksimile des EinsatzplanesFaksimile des EinsatzplanesNicht immer kann alles in Worte gefaßt werden und mit einem bedrückt wirkenden Gesicht blickt sie mit gesenkten Kopf auf den Tisch, hebt ihn an und artikuliert „Es ist die Wahrheit – man ist ausgeliefert, angewiesen auf die Organisation.“

Eines Tages kam eine neue Mitarbeiterin vom HILFSWERK, die zuvor noch nie da war, auch nicht zu einer Einschulung, wie wir uns versichern ließen, die sich überhaupt nicht mit dem Hausbrauch ausgekannt hat. (Anm.: diese Angabe ist auch von weiteren Angehörigen anderer Patienten bereits in sachlicher Übereinstimmung gemacht worden) „Das ist schon eine blöde Einteilung“ erzählt Frau M.. Sie habe ihr alles selbst zeigen müssen. Sie hat auch noch über eine andere Begebenheit erzählt, die in einem anderen Zusammenhang von Bedeutung ist. In der Reportage Die geraubten Perspektiven nach einem arbeitserfüllten Leben berichteten wir u.a. über eine Patientin, die die mobile Pflegehelferin HERMINE ablehnte. So berichtet Frau M. über eine sehr nette Pflegerin vom HILFSWERK, die nicht nur einen sehr positiven Eindruck auf sie machte, sondern auch aus ihrer Beurteilung ihre Arbeit ausgezeichnet machte. Als die Pflegerin an das Bett der Patientin trat, ballte diese regelrecht die Hand zu einer Faust und wies sie von sich ab. Frau M. hat es selbst gesehen und konnte es in keinster Weise nachvollziehen und bedauerte den Vorfall. Menschen sind Individuen und, wenn die „Chemie“ nicht stimmt, dann muß man es ganz einfach akzeptieren.

Frau M. hält das Selbstbestimmungsrecht als fundamentalen Bestandteil des eigenen Lebens für ein hochwertiges Gut und erzählt von ihrem Gatten, der es ablehnte ggf. reanimiert zu werden. Eine Richterin wollte, zu dem Zeitpunkt als der Gatte wegen eines Schlaganfalles im Krankenhaus lag und unansprechbar war, anordnen, daß eine PEG-Sonde (künstliche Ernährung durch direkten Magenzugang) gesetzt werden sollte, was Frau M. jedoch, dem Willen ihres Gatten folgend, ablehnte. Ihr Gatte verstarb zwei Tage nach seinem Schlaganfall mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck.

Auszug der uns vorliegenden Einsatzpläne vom HILFSWERK in ÖsterreichEiner vertraulichen Quelle innerhalb vom HILFSWERK haben wir es zu verdanken, daß wir in Besitz von Dienstplänen über einen längeren Zeitraum kamen, die die Einsatzplanung für die Angehörige von Frau M. beinhalten, denn das mobile Pflegepersonal ist in Kenntnis um diesen Mißstand, den mangelhafte Einsatzplanung verursacht – ist aber gegenüber der Vorgesetzten wie Einsatzleitung, Betriebsleitung und der Leitenden Diplomgesundheitskrankenschwester laut eigenen Angaben machtlos. (Anm.: Die Einsatzleitung verfügt über die genaue Aufstellung der Pflegemaßnahmen für jeden einzelnen Patienten, die vom Pflegepersonal durchzuführen ist) Tatsächlich konnten wir zusätzlich auch durch Observation die Feststellung machen, daß zwischen den jeweiligen Besuchen, auch laut Einsatzplänen, die nicht immer ident mit dem Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitsvornahme beim Patienten sind, durchschnittlich 17 Stunden liegen. Doch selbst die Einsatzpläne weisen überwiegend glatte 17 Stunden Zeitspanne aus! 17 Stunden ist ein Mensch gezwungen in seinem Kot und Urin zu liegen und jetzt erlauben wir uns die Frage zu stellen, wo hier noch von Menschenwürde gesprochen werden kann?

Angesichts der Reaktionen vom HILFSWERK, die uns mit Klagen und Anträgen auf einstweilige Verfügungen wegen der Serie „Pflegenotstand aus der Sicht des Pflegepersonals“ einzudecken beabsichtigen, erlauben wir uns den Verantwortlichen einen Vorschlag zu unterbreiten: Legen Sie sich nur ein einziges Mal für 17 Stunden Windeln an und verrichten Sie Ihre Notdurft hinein.

Nachdem wir den Beteiligten Personen den Quellenschutz zugesichert haben, richteten wir zu diesem Sachverhalt eine Anfrage an den Pressesprecher, Mag. Harald BLÜMEL vom HILFSWERK Österreich, die hier eingesehen werden kann.

In unserer nächsten Reportage, werden wir eine Standardaussage von leitenden Beschäftigten vom HILFSWERK aufzeigen, die zahlreiche Beschäftigte oftmals zu hören bekommen, wenn sie mit Anliegen an ihre Vorgesetzten herantreten „Wir brauchen jeden Kunden“, aber diesmal in einem ganz besonderen Fokus …

Bildlegenden v.li.n.re.-v.o.n.u.:
Die von Krankheit gezeichneten Hände der Angehörigen;
Faksimile aus dem Einsatzplan vom HILFSWERK mit Kennzeichnung des Betreuungstermins der Schlaganfallpatientin 16:30;
Faksimile aus dem Einsatzplan vom HILFSWERK vom darauffolgenden Tag – erst nach 17 Stunden kommt das mobile Pflegepersonal auch wieder zum Wechsel der Windel;
Faksimile der uns von einer vertraulichen Quelle zur Verfügung gestellten Einsatzpläne vom HILFSWERK zu dieser Patientin.

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(16-11-06)

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